In der Presse #31

Landesverband in der Kritik
Anzeige wegen
Veruntreuung

27. Januar 2006

Während im Konflikt zwischen Einheitsgemeinden und liberalen Gemeinden in Deutschland die Zeichen eindeutig auf Entspannung stehen, gibt es in einzelnen Regionen weiterhin erbitterte Auseinandersetzungen. In Sachsen-Anhalt ist der Streit nach langen Verhandlungen und einer fast greifbaren Lösung erneut eskaliert.

Mit einer Strafanzeige und dem Vorwurf einer Veruntreuung in Millionenhöhe erreicht der nun schon seit 10 Jahren schwelende Konflikt zwischen der liberalen Synagogengemeinde Halle und dem Landesverband jüdischer Gemeinden Sachsen-Anhalt einen neuen Höhepunkt. In einem langwierigen Prozess hatte die Synagogengemeinde durch alle Rechtsinstanzen ihr Recht auf eine Förderung durch den Staat, vergleichbar mit der Förderung des Landesverbandes, durchgesetzt. Aufgrund der sturen Haltung des Landesverbandes kam es letztlich zum Eklat, als sich auch der Zentralrat der Juden in Deutschland aus den Verhandlungen zurückzog und den Landesverband öffentlich kritisierte (tachles berichtete). Als Übergangslösung für ausstehende Zahlungen wurde vereinbart, dass die Synagogengemeinde ab September 2005 monatlich 7500 Euro erhalten sollte, bis eine endgültige Lösung durch einen neuen Staatsvertrag gefunden wird.

Neuer Ärger kündigte sich im Dezember 2005 an, als von einem Funktionär des Landesverbandes angekündigt wurde, die Zahlung auf 1500 Euro zu reduzieren. Eine Sitzung des Landesverbandes, deren Rechtmäßigkeit von der liberalen Gemeinde wegen Satzungsverstößen bestritten wird, schob dann auch noch den Beschluss nach, diese Reduzierung umzusetzen. Formal wurde das Vorgehen mit der geringen Mitgliederzahl der Synagogengemeinde begründet. Für die liberale Gemeinde, die aufgrund der bisherigen Prozesskosten ohnehin schon in finanzieller Bedrängnis ist, bedeutet dieser Beschluss eine existenzielle Bedrohung. Das Land Sachsen-Anhalt, das gegenüber der Synagogengemeinde zugesagt hatte, bei ausbleibenden Zahlungen in die Bresche zu springen, zeigt sich momentan ebenfalls nicht kooperativ. Offensichtlich ist das verantwortliche Kultusministerium vom innerjüdischen Streit und den gegenseitigen Anschuldigungen zunehmend überfordert.

Nach dem 18. Januar dürfte die nervliche Belastung kaum kleiner werden. Die Synagogengemeinde hat mit ihrem Vorsitzenden Karl Sommer die schon mehrfach angedrohte juristische Auseinandersetzung gesucht und bei der Staatsanwaltschaft Magdeburg gegen den Landesverband Strafanzeige eingereicht. Die Vorwürfe lesen sich wie die Anklage bei einem Mafia-Prozess: Im zehnseitigen Schriftsatz werfen die Liberalen den Vorstandsmitgliedern Veruntreuung von fremdem Vermögen in der Höhe von 2,5 Millionen Euro sowie Urkundenfälschung vor. Die Staatsanwaltschaft wurde aufgefordert zu prüfen, ob Verdunklungs- und Fluchtgefahr besteht.

Sollte die Synagogengemeinde auch nur teilweise im Punkt ihrer Millionenforderungen gegen den Landesverband Recht bekommen oder sollten im Rahmen des Verfahrens die Konten des Landesverbandes gesperrt werden, befindet sich das Land in einer schwierigen Situation: Der Landesverband kann als Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht Insolvenz anmelden. Für die laufenden Kosten müsste dann das Land zusätzlich zu den schon geleisteten Zahlungen aufkommen: Ein schlechtes Geschäft angesichts der an sich geringen Summe von 7500 Euro im Monat, die der direkte Auslöser der aktuellen Krise sind. Weitere Auflösungserscheinungen und massive Konflikte unter den Juden der Gemeinde Magdeburg machen aus dem Landesverband zunehmend eine Organisation, deren moralischer Vertretungsanspruch für die Juden in Sachsen-Anhalt in Zweifel gezogen werden kann. Trotz oder gerade wegen der Anzeige wird in Sachsen-Anhalt allerdings auch weiter auf verschiedenen Ebenen politisch verhandelt. Vorwürfe krimineller Taten scheinen in Sachsen-Anhalt inzwischen ein normales Mittel der innerjüdischen Auseinandersetzung geworden zu sein.

Rainer Meyer

Quelle:
tachles - Das jüdische Wochenmagazin - 27. Januar 2006

 

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