In der Presse #23

Verbände, hört die Signale!

07. Oktober 2005

Im Streit um die Verteilung staatlicher Gelder an jüdische Gemeinden in Deutschland zeichnet sich allmählich eine Beruhigung ab.

 

Von Rainer Meyer

Im Streit um die Verteilung von staatlichen Mitteln für jüdische Gemeinden ist der Zentralrat der Juden in Deutschland über seinen Schatten gesprungen: Er empfiehlt dem Land Sachsen-Anhalt, die liberale Synagogengemeinde in Halle direkt zu fördern. Für den Landesverband, der dem Zentralrat angehört, ist es eine schwere Niederlage; für eine umfassende Regelung in Deutschland könnte es der erste große Durchbruch sein.

Der Generalsekretär des Zentralrat, Stephan Kramer, lässt es in seinem Schreiben an das Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt nicht an Deutlichkeit fehlen: Dem Ansehen der jüdischen Gemeinschaft in Sachsen-Anhalt werde "schwerer Schaden" zugefügt. Nach zehn Jahren erbitterter juristischer Auseinandersetzung und einem letztinstanzlichen Urteil, das der Synagogengemeinde in Halle Recht gab, geht der Zentralrat damit deutli9ch auf Distanz zu einem Landesverband, der sich einer Einigung widersetzt. Noch vor wenigen Monaten gab es seitens des Zentralrats Überlegungen, in dieser Frage vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Jetzt legt Stephan Kramer seine Vermittlungstätigkeit als Verhandlungsführer des Landesverbands nieder - ausdrücklich wegen der Blockadehaltung der im Landesverband zusammengeschlossenen jüdischen Gemeinden.

Kaum finanzielle Mittel für Verfahren

Für Karl Sommer, den Vorsitzenden der Synagogengemeinde Halle, ist das eine späte Genugtuung. Er hat die Hauptlast der Auseinandersetzung in einer denkbar schlechten Position getragen. Die Gemeinde hatte kaum finanzielle Mittel, um das lange Verfahren durchzustehen, und ist mit ihren meist aus Russland stammenden Mitgliedern denkbar weit von den Standards jüdischer Gemeinden im Westen von Deutschland entfernt. Nach Jahren des Konflikts meint er heute, dass man Stephan Kramer für seine deutlichen Worte und sein Engagement einen "Orden verleihen sollte". Mit Kramers Vorschlag an das Land, der Gemeinde monatlich bis zu einer endgültigen Regelung 7500 Euro direkt zu überweisen und mit mindestens 12500 Euro Rücklagen für die Nachzahlungen vergangener Jahre zu bilden, erkennt man die Ansprüche der Synagogengemeinde faktisch an. Die flexible und undogmatische Haltung der Hallenser bei den Verhandlungen dürfte ihren Teil zur Meinungsfindung des Zentralrats beigetragen haben. Auch das ist eine neue Entwicklung in Deutschland, wo sich liberale Spitzenfunktionäre und Vertreter des Zentralrats oft unversöhnlich gegenüberstehen.

Doch vorerst wird sich in Sachsen-Anhalt nicht viel ändern: Die Gemeinden Landesverbandes wollen warten, bis die Synagogengemeinde ihre Forderungen vollstrecken lässt. Dort scheint man gewillt zu sein, den Konflikt bis zum Äußersten zu treiben, und auch Karl Sommer beabsichtigt, diesmal den Vollzugsbeamten zu schicken. Sommer rechnet damit, dass gesperrte Konten die andere Seite schnell an den Verhandlungstisch zurückbringen würden. Die Selbstverwaltung jüdischer Gemeinden in Ostdeutschland ist oft ein wichtiger Arbeitgeber für die Mitglieder. Ohne die Landeszuschüsse würden die Gemeinden schnell in die roten Zahlen rutschen. In diesem Fall hätte das Land die unangenehme Aufgabe, von oben zu entscheiden, wie es mit den Juden in Sachsen-Anhalt weitergehen soll. Nachdem sich auch in anderen Orten inzwischen Abspaltungen der Einheitsgemeinden des Landesverbandes gegründet haben, sind weitere komplexe Verhandlungen zu erwarten.

Signalwirkung für andere Verbände?

Der Zentralrat hat in diesem Fall deutlich gemacht, wo seine Toleranzgrenze erreicht ist. Die Distanzierung vom Landesverband dürfte Signalwirkung für andere Verbände haben, die sich bislang immer auf dei Treue des Zentralrats verlassen haben, egal wie katastrophal das Finanzmanagement und wie unfähig die Funktionäre waren. In den Verbänden herrschte oft eine gewisse Vollkasko-Mentalität, die hoffte, dass eine unsichere Ministerialbürokratie und ein robust auftretender Zentralrat Abspaltungstendenzen so gut wie unmöglich machen würden. Offensichtlich ist der Zentralrat aber nicht mehr gewillt, sich in jedem sinnlosen Konflikt zwischen lokalen Betonköpfen verschleißen zu lassen.

Quelle:
tachles - das jüdische Wochenmagazin Nr.40/2005, 7. Oktober 2005


 

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