In der Presse #20

Drohgebärden und
Geheimgespräche

02. September2005

Um die Finanzierung der liberalen Synagogengemeinde Halle tobt ein Streit zwischen dem Zentralrat der Juden in Deutschland und den liberalen Dachorganisationen, der scheinbar mit aller Härte und Entschlossenheit geführt wird. Beide Seiten geben sich in der Öffentlichkeit unversöhnlich – dabei sind die Verhandlungen zu einer friedlichen Beilegung bereits weit gediehen.

Von Rainer Meyer

Der Gang zum Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gehört fast schon zu den Standardübungen der Berliner Republik. Insofern passen die von Liberalen und Zentralrat regelmäßig vorgebrachten Drohungen einer Klage in Karlsruhe in den politischen Alltag. Hatte zuerst die Union Progressiver Juden damit Verhandlungen über eine Beteiligung an der finanziellen Förderung durch die Bundesrepublik erzwungen, wendet sich jetzt der Zentralrat tatsächlich an das höchste deutsche Gericht. Der Zentralrat wehrt sich nach den Worten von Paul Spiegel gegen zwei Urteile, die der liberalen Synagogengemeinde Halle rückwirkend die Förderung durch Mittel des Land Sachsen-Anhalt garantieren.

Spaltung der deutschen Juden angedroht

Acht Jahre haben die Liberalen durch alle Instanzen für ihre Förderung über den dem Zentralrat angehörigen Landesverband der jüdischen Gemeinden vor Gericht gestritten. Während Paul Spiegel durch ein Urteil des Verfassungsgerichts erfahren will, ob der Staat und die Gerichte so stark in die Arbeit des Zentralrats eingreifen dürfen, wurden die Planungen der Liberalen zur Durchsetzung ihrer Forderungen bekannt. Wenig zimperlich überlegt man, einen Insolvenzantrag gegen den Landesverband der Jüdischen Gemeinden zu stellen und das Land Sachsen-Anhalt zu verklagen. Das Ansinnen beider Seiten wurde in die Öffentlichkeit getragen, ergänzt von einem Besuch des Generalsekretärs der liberalen Weltunion Uri Regev bei Bundeskanzler Schröder, der mit einer Spaltung der deutschen Juden drohte und von der Regierung verlangte, die Förderung der Liberalen durch den – als Körperschaft eigentlich unabhängigen – Zentralrat sicherzustellen.

Während beide Seiten den deutschen Medien ihre Maximalforderungen und ihre Bereitschaft zum erbitterten Kleinkrieg demonstrieren, zeichnet sich in Sachsen-Anhalt aber inzwischen eine mögliche Einigung ab. Nach tachles vorliegenden Informationen verhandelt die Synagogengemeinde direkt mit Stefan Kramer, dem Generalsekretär des Zentralrats, um eine dauerhafte Lösung des Konflikts. Demzufolge würde die nach dem Streit finanziell ausgeblutete liberale Gemeinde gleichberechtigt dem Landesverband beitreten, mit Vorschüssen finanziert werden und nach den Formalien die für den Betrieb der Gemeindeeinrichtungen nötigen Mittel erhalten. Über diese Punkte scheint zwischen Liberalen und Zentralrat weitgehende Einigkeit zu herrschen; strittig sind dagegen Fragen wie die Anzahl der Gemeindemitglieder, nach denen sich die Höhe der Forderung richtet. Für beide Seiten steht viel auf dem Spiel: Die Liberalen würden mit Klagen die verfahrene Situation zusätzlich vergiften, und der Zentralrat müsste um seine Unabhängigkeit fürchten, wenn das Bundesverfassungsgericht die Urteile aus Sachsen-Anhalt bestätigt. Mit einem derartigen Grundsatzurteil könnten auch andere liberale Gemeinden ihre Forderungen einklagen.

Veränderungen nach Wahlen im Herbst

Der Sinneswandel auf beiden Seiten kommt in Zeiten politischer Unsicherheit. Nach den Neuwahlen in Deutschland Mitte September werden in jedem Fall einschneidende Veränderungen in der Politik erwartet. Sollte die konservative CDU die Regierung führen, würde es einen Wechsel an der Spitze des für Religionsfragen zuständigen Innenministeriums geben. Aussichtsreicher Kandidat ist der bayerische Innenminister Günther Beckstein von der CSU, dessen Landesregierung bislang sehr gut mit den Einheitsgemeinden zusammenarbeitete und wenig Neigung erkennen ließ, sich mit einem zerstrittenen Judentum abzufinden. Beckstein war auch ein Befürworter einer drastischen Begrenzung der jüdischen Zuwanderung aus Osteuropa nach Deutschland. Angesichts neuer politischer Leitlinien und bereits angekündigter Einsparungen wären beide Religionsrichtungen in Deutschland automatisch in einer schlechten Position.

Quelle:
Tachles - Das jüdische Wochenmagazin Nr. 35 / 2. September 2005


 

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