Die Geschichte unserer Synagogengemeinde zu Halle

Mit Unterbrechungen leben Juden in Halle seit dem Mittelalter. Historische Quellen wissen von einer jüdischen Gemeinde bereits im Jahre 1184. Aber es wird auch immer wieder von Vertreibungen und Pogromen berichtet.

Eine Gemeinde im juristischen Sinne mit Befugnissen nach dem Fremdenrecht gab es erst ab 1704. Die Episode von 1807 - 1813, während der Halle zum napoleonischen 'Königreich Westphalen' gehörte, brachte den Juden für kurze Zeit volle Emanzipation. Eine dauerhafte Anerkennung als Staatsbürger gewährte erst das preußische "Gesetz über die Verhältnisse der Juden" vom 23. Juli 1847, auch wenn es ihnen weiterhin den Zugang zu bestimmen öffentlichen Ämtern und Berufen versagte.

Dieses Gesetz bestimmte, dass sich Juden analog zu den Kirchen nach Bezirken in Synagogengemeinden zu organisieren haben. Dafür erhielten sie einen Selbstverwaltungsstatus in allen Kultusfragen und wurden als Körperschaften des öffentlichen Rechts (K.d.ö.R.) anerkannt. Auf dieser Basis konstituierte sich am 20. Oktober 1858 die Synagogen-Gemeinde zu Halle, anfänglich mit 354 Mitgliedern.

Wie überall in Deutschland waren religiöse und nicht-religiöse, liberale und orthodoxe Juden an das staatlich vorgegebene Prinzip der Einheitsgemeinde gebunden und somit gezwungen – trotz mancher Differenzen, miteinander auszukommen. Zu ihrer Blütezeit um 1910 waren 1397 Mitglieder eingeschrieben - viele von ihnen Künstler, Intellektuelle und Unternehmer. Die meisten fühlten sich eher einem liberalen Judentum verbunden. Die Gemeinde beteiligte sich aktiv an programmatischen Richtlinien für ein liberales Judentum. Dem wachsenden Antisemitismus zum Trotz prägten daher auch die Liberalen das Gemeindeleben. Man gab sich modern und gebildet, fühlte sich deutsch und praktizierte in der Synagoge am Großen Berlin nach einem Reformritus. Augenfälligstes Symbol dafür war damals - 1901 - der Einbau einer Orgel.

Die Minderheit der orthodoxen Juden konnte gleichwohl unter dem Dach der Synagogen-Gemeinde in einem eigenen Minjan ihre traditionelle Liturgie und Religiosität praktizieren.

Bereits seit der Regierungsübernahme der Nationalsozialisten wurde jüdisches Leben erschwert und behindert, nach der Reichspogromnacht von 1938 aber wurde es systematisch vernichtet. Zuerst zerstörten die Nazis Synagoge und Gemeindehaus, dann entrechteten sie die Synagogengemeinde.

 

Schließlich nötigten sie die Menschen zur Auswanderung oder deportierten und ermordeten sie.

Nach 1945 ersuchten hallesche Juden, die die Nazi-Zeit überlebt hatten, die sowjetischen Militärbehörden um Erlaubnis, die Synagogengemeinde wiedergründen zu können. Das wurde ihnen verweigert. Erlaubt wurde stattdessen die Gründung einer "Jüdischen Gemeinde zu Halle". Zur Wende 1989 hatte diese Einheitsgemeinde noch sieben Mitglieder. Nach 1990 wuchs sie wieder, anfänglich durch Rückkehrer aus Westdeutschland, dann aber vor allem durch die Zuwanderung von Juden aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion.

Während die Gemeinde zunächst säkular, orthodox und religiös liberal orientierte Juden gleichermaßen respektierte, setzte 1995 ein sehr unappetitlicher Verdrängungskampf ein - zeitweilig unter aktiver Beteiligung des Zentralrats der Juden. Liberalen Gemeindemitgliedern wurde bestritten halachisch (= im Sinne des jüdischen Religionsgesetzes) jüdisch zu sein. Sie wurden systematisch ausgegrenzt und schließlich mit juristischen Mitteln von der Mitarbeit in der Gemeinde ausgeschlossen.
Am 26. Juli 1996 entschieden sich deshalb 32 Juden aus Halle, an die Reformtradition vor 1938 anzuknüpfen. Sie schritten zur Wiedergründung der "Synagogengemeinde zu Halle". Künftig sollte sie das liberale Angebot an die Juden der Saalestadt und der Region sein - eine Alternative zur hiesigen intoleranten Einheitsgemeinde-Orthodoxie. Am 19. Februar 1997 wurde die "Synagogengemeinde zu Halle" offiziell ins Vereinsregister eingetragen (Amtsgericht Halle-Saalkreis Nr.1488)

Heute zählt unsere Gemeinde rund 300 Seelen. Neben Gottesdiensten an Erew Schabbat bietet die Gemeinde regelmäßig Morgengebete zu Schabbat an. Für Kinder und Erwachsene haben wir eine Sonntagsschule eingerichtet, die Religionsunterricht erteilt.

Nach der Neugründung haben wir beim Landesverband jüdischer Gemeinden Sachsen-Anhalt K.d.ö.R. Beteiligung an den Staatsleistungen beantragt, die der zur Förderung der gesamten Jüdischen Gemeinschaft in unserem Bundesland erhält. Die meisten unserer Mitglieder sind - wie in den meisten jüdischen Gemeinden Deutschlands - Zuwanderer und haben nur sehr kleine Einkommen.

Sie zahlen entsprechend niedrige Mitgliedsbeiträge. Integration, Sozialberatung, Deutsch- und Religionsunterricht kosten auch für unsere Mitglieder Geld. Dennoch: Unser Antrag wurde abgelehnt.

Wir sahen uns gezwungen, ein mühseliges Verwaltungsgerichtsverfahren einzuleiten. Erst die Grundsatzentscheidung des 7. Senats des Bundesverwaltungsgerichts (Az: BVerwG 7 C 7.01) vom 28. Februar 2002 bestätigte, dass auch wir anspruchsberechtigt sein könnten. Am 11. November 2004 entschied das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (A 2 S339/98), dass wir es sind! Dieses Urteil wurde rechtskräftig. Wir müssen beteiligt werden, und seit Frühjahr 2006 ist unsere Gemeinde auch tatsächlich Teilnehmerin des Staatsvertrages mit dem Land Sachsen-Anhalt.

Gleichwohl: Der Streit scheint unendlich weiterzugehen. Er hat den Charakter eines juristischen Kleinkrieges angenommen. Das Ziel: jede eigene Entwicklung unserer Gemeinde zu verunmöglichen. Unsere Mitgliederkartei wird angezweifelt und der jüdische Status unserer Mitglieder. Zwei Gerichtsurteile geben uns aber die Hoffnung, dass uns bald Gerechtigkeit widerfahren wird:

  • 26. März 2009 - Verwaltungsgericht Halle (Az: 3 A 94/07 HAL). Uns seien vom 13.10.1997 bis 31.12.2005 vom Landesverband der Jüdischen Gemeinden Sachsen-Anhalt zu Unrecht Staatsleistungen vorenthalten worden.
  • 12. Mai 2009 - Bundesverfassungsgericht (Az: 2BvR 890/06):Der Staat muss selbst dafür sorgen, dass seine Zuschüsse gerecht verteilt werden und darf das nicht einer konkurrierenden Religionsgesellschaft übertragen.

Die gerichtlichen Möglichkeiten sind damit zwar nur zum Teil ausgeschöpft, aber die Richtung ist ziemlich eindeutig. Auch Gemeinden, die keinem Landesverband aber einer bedeutenden jüdischen Richtung angehören, müssen finanziell gefördert werden. Auf diese Unterstützung sind derzeit alle jüdischen Gemeinden in Deutschland angewiesen, denn sie müssen erhebliche Leistungen zur Integration ihrer neuen Mitglieder erbringen. Zu denen sind sie aus eigener Kraft nicht in der Lage. Die meisten jüdischen Gemeinden haben bislang kaum eigene Einnahmen.

Klar ist: Nur wenn die Gemeinden aller relevanten Strömungen diese Förderung erfahren, kann sich wieder ein vielfältiges jüdisches Leben entfalten. Das gilt auch für Sachsen-Anhalt.